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1. Deutsches Lesebuch für Mittelschulen - S. 327

1867 - München : Königl. Central-Schulbücher-Verl.
150. Jean Paul Friedrich Richter. 327 aus Büchern zu verschaffen und legte dadurch schon damals den Grund zu jener staunenswürdigen Belesenheit, welche wir in all seinen Schriften bewundern. Bald fühlte er auch das Bedürfniß, aus den Schriften, welche er las, Auszüge zu fer- tigen, und diese Arbeit fetzte er in steigen- dem Maße während seines ganzen Lebens fort. Mit dem 16. Jahre bezog er das Gymnasium zu Hof; kurz darauf starb fein Vater, und da dieser kein Vermögen, sondern noch Schulden hinterließ, so hatte der strebsame Jüngling zehn Jahre lang mit der bittersten Noth zu kämpfen. Doch fühlte er diese zuerst weniger, weil seine leiblichen Bedürftrisse nur gering und also leicht zu befriedigen waren. Schon in Hof, welches er nach zwei Jahren verließ, um die Universität in Leipzig zu besuchen, hatte sich die Lust in ihm geregt, als Schriftsteller aufzutreten, und zu Ende des Jahres 1781, da die Armuth seiner Familie immer höher ge- stiegen war und schwere Nahrungssorgen über ihn kamen, entschloß er sich, durch literarische Arbeiten seine Lage zu ver- bessern. Doch währte es über ein Jahr, bis er sein erstes Werk, „die grönlän- dischen Prozesse," fertig hatte. Mit dem Honorar dieser Erstlingsschrift, 15 Louisd'or, bezahlte er seine Schul- den und miethete sich ein Gartenhäus- chen , um da ungestört arbeiten zu kön- nen. Bald aber wurde er aus seinem Asyl vertrieben. Jean Paul hatte näm- lich, den Gesetzen der damaligen Mode Hohn sprechend, Zopf, Puder und Hals- binde abgelegt, trug langes Haar und offene Brust, was einen in demselben Garten wohnenden Magister so empörte, daß er beim Gartenbesitzer Klage erhob, und da letzterer von Jean Paul ver- langte, entweder sich der Mode zu fügen, oder des Spazierengehens im Garten zu enthalten, so bezog der angehende Schriftsteller sein kleines Zimmer in der Stadt wieder. Seine Mißachtung der Allherrscherin Mode brachte ihm aber noch manche Unannehmlichkeiten. In Hof, wohin er sich nun wieder begab, trug man noch allgemein den Zopf; Jean Pauls Zopflosigkeit erregte dort solches Aergerniß, daß er überall, wo er sich blicken ließ, Verhöhnung erfuhr. Die Erträgnisse der Schriftstellerei waren nur karg, Jean Paul gerieth in solche Noth, daß er zu seiner Mutter zog, welche mit noch einigen Kindern selbst in bitterster Armuth zu Hof lebte. Salat und Brod waren die Hauptspeise der Familie. „Wenn uns," so erzählt Jean Paul später, „zuweilen ein Gulden in's Haus kam, so war das ein solcher Jubel, daß wir hätten die Fenster einschlagen können." An einer anderen Stelle klagt er, „daß es ihm in seinem Gefängnisse zu Hof schlimmer gegangen sei, als einem Baugefangenen bei Wasser und Brod, da er nur das erstere gehabt habe." Trotzdem dachte er nicht daran, seine Talente und Kenntnisse zu irgend einem Erwerb zu benutzen, sondern ar- beitete rastlos an seinen Excerpten und an neuen Aufsätzen; und obwohl sich zu diesen kein Verleger fand, so ließ er sich doch in seiner Hoffnung, daß er noch durch- dringen werde, nicht irre machen. Und seine Zuversicht täuschte ihn nicht; er brach sich Bahn. Rasch folgten die Werke, welche ihm unsterblichen Ruhm erwarben: „Die Auswahl aus den Papieren des Teufels, Leben des vergnügten Schul- meisterleins Wuz, die unsichtbare Loge, Hcsperus, Quintns Fixlein, der Armen- advokat Sicbenkäs u. a. Erwähnung verdient auch das zur Zeit seiner „Ge- fangenschaft in Hof" entstandene „Mit- wörterbuch," in welchem er verschiedene Wörter und Redensarten zusammenstellte, wie sie zum Ausdrucke irgend eines Be- griffes gebraucht werden können. So stellte er z. B. für den Begriff „Verschlim- merung" 184, für „Sterben" gar 200 Ausdrücke zusammen. Pfingsten 1796 hatte ihn in Bayreuth die geistreiche Generalin Kalb kennen ge- lernt, und durch sie ward er an den Hof zu Weimar empfohlen. Auf's herzlichste allda empfangen, fand er in dem Um- gänge mit den gelehrten und geistreichen Männern, welche Carl August damals um sich geschaart, hohe Anregung, die nicht ohne fördernden Einfluß auf ihn blieb. Ein harter Schlag traf ihn, als am 25. Juli 1797 seine von ihm zärt- lich geliebte Mutter starb. „Wenn ich alle Bücher der Erde wegwerfe, so lese

2. Deutsches Lesebuch für Mittelschulen - S. 328

1867 - München : Königl. Central-Schulbücher-Verl.
328 Iii. Geschichtsbilder. ich doch, gute Mutter, deines fort, worin alle Qualen deiner Nächte stehen, und worin ich dich in der Mitternacht mit der keuchenden, siechenden Brust, den Faden deines kargen Lebens ziehen sehe," — schrieb er, als er nach ihrem Tode ein Büchlein fand, worin die arme Mutter von Monat zu Monat aufgezeichnet, was sie gesponnen. Ein neuer Abschnitt seines Lebens begann 1801, wo er sich mit Karoline Meier, Tochter eines Tribunalrathes in Berlin, vermählte, mit welcher er bis an sein Ende in glücklichster Ehe lebte. Nachdem er einige Jahre in Berlin, Meiningen und Coburg verlebt, fühlte er das Bedürfniß, in seine liebe Heimat zurück zu kehren. Im Jahre 1804 nahm er seinen dauernden Wohnsitz in Bay- reuth, der Hauptstadt des Fichtelgebirges. Ein ihm zuerst vom Fürsten Primas, Karl von Dalberg, und dann vom Könige Max I. von Bayern ausgesetzter Jahr- gehalt verschaffte ihm eine sorgenfreie Stellung und die Möglichkeit, ungestört nach seinen Neigungen arbeiten zu können. Schon in der ersten Zeit seines Aufent- haltes zu Bayreuth fühlte er das Be- dürfniß, in einiger Entfernung von der Stadt nach dem Fichtelgebirge zu einen Ort zu finden, wo er ungestört ver- weilen und ans der Tiefe seines Ge- müthes schaffen könne. Das unschein- bare Wirthshaus am Fuße der kleinen Anhöhe zur Eremitage bot ihm dieses ersehnte Plätzchen, und hier war es, wo er in stiller Abgeschiedenheit seine späte- ren poetischen Werke schuf, die Borschule der Aesthetik, die Flegeljahre, Selina und besonders Levana. In der ersten Zeit ist er fast täglich dahin gegangen. Da sah man den untersetzten, kräftig gebauten Mann im schlichten Oberrocke, mit offenem Halse, einen Knotenstock in der Hand, einen Büchsenranzen über der Achsel, bepackt mit Büchern und mit dem Manuscripte, an welchem er eben arbeitete, den großen weißen Spitz, den treuen Begleiter zur Seite, schon in den frühesten Morgenstunden durch die Alleen des Hofgartens und durch die Linden- allee vor dem Eremitagethore die sanfte Anhöhe nach dem Wirthshäuschen empor- schreiten; und so fast 20 Jahre lang, i Im Hinterhause, eine Stiege hoch, liegt ein bescheidenes Stübchen mit ein paar Fenstern, welche eine liebliche Aussicht in den hier kesselartigen Thalgrund des rothen Maines, auf die waldigen Berg- höhen zu beiden Seiten desselben, auf freundliche Weiler und Höhen im Thale und endlich im Hintergründe auf die blauen, über einander gegipfelten Berge des Fichtelgebirges gewähren. Die Aus- stattung des Zimmers ist heute noch dieselbe, wie zur Zeit des Dichters. An diesem Tische schrieb er einen großen Theil seiner Levana und viele andere Werke. Aus diesen Fenstern schickte er die sehnsuchtsvollen Blicke nach den Bergen, hinter welchen er geboren war und seine einfache Jugend verlebt hatte. Von diesem Häuschen aus durchstreifte er auch oft die wahrhaft reizende Um- gegend. Am Abend kam gewöhnlich Richters Familie hieher, um ihn abzu- holen. In den späteren Jahren kam er nur noch einigemale in der Woche dahin und als er erkrankte und in der letzten trüben Zeit gar erblindete, sah man ihn nicht mehr zu seinem Lieblingsaufent- halte wandern. Am Eingang des Hauses ließt man jetzt auf einer Marmortafel mit goldenen Lettern: „Rollwenzels- Haus. Hier dichtete Jean Paul." Er selbst war ein Mann der streng- sten Ordnung, des entschiedensten Wil- lens, aber auch der innigsten Liebe, und Hausherr in der vollsten Bedeutung des Wortes. An Jean Paul bewundern wir nicht nur den klarsten, schwunghaftesten Geist, die reichste, kühnste und gewaltigste Phan- tasie und den hohen edlen Sinn, er hatte auch das liebevollste, edelste Herz, das je in eines Menschen Brust geschlagen. Als Sohn der Armuth bewahrte er immer dem Volke seine treue innige Zuneigung und wollte lieber ein armer Mann bleiben, als sich von den kleinen Höfen, wo er ungewöhnlich ausgezeichnet wurde, fesseln zu lassen. Er sang nicht in den Palästen der Reichen; er scherzte nicht mit seiner Leyer an den Tischen der Fürsten, er war der Dichter der Nieder- gebornen, er war der Sänger der Armen und wo Betrübte weinten, da vernahm man die weichen Töne seiner Harfe; er

3. Deutsches Lesebuch für Mittelschulen - S. 332

1867 - München : Königl. Central-Schulbücher-Verl.
332 Iii. Geschichtsbilder. 152. Alois Sennefelder. Vorrichtungen zu ersinnen, um reine Abdrücke zu erzielen. Sennefelder aber, in die tiefste Armuth herabgesunken, mußte seine Hoffnung auf bessere Zeiten verschieben. So verzweifelt war seine Lage, daß er sich als Stellvertreter eines Militärpflichtigen in's Heer ver- kaufen wollte, in welches er jedoch, als ein Ausländen, nicht aufgenommen ward. Er fristete nun sein Leben mit Noten- schreiben, und bei dieser Beschäftigung kam er auf den Gedanken, ob er seine Erfindung nicht für den Notendruck ver- werthen könne. Er verbesserte seine Tinte und construirte auch eine Presse, die aller- dings bei seinem Mangel an Mitteln nur armselig ausfallen konnte. Indeß derver- such gelang, und die erste Arbeit, 12 Lie- der mit Clavierbegleitung, trug ihm vom Kurfürsten Karl Theodor eine Belohnung von 100 fl. ein. Nach mehrfachen mißlun- genen Versuchen, eine geeignete Presse her- zustellen, diebeimdruckedensteinnichtzer- trümmerte, erfand Sennefelder im Jahre 1797 die Stangen- oder Galgenpresse, die einen gleichmäßigen Druck ausübt und täglich mehr als 1000 Abzüge liefert. Freundlich stand dem strebsamen Manne der Schulrath und Inspektor des Central-Schulbücher-Verlags, Steiner, zur Seite; dieser ertheilte ihm mehrfache Aufträge und namentlich ließ er Bilder- Abdrücke für Gebetbücher fertigen. Versuche, das mit Bleistift und Röthel Geschriebene aus den Stein zu drucken, um so das Verkehrtschreiben zu umgehen, führten auf den Ueberdruck und Wieder- druck von Lettern, Kupferstichen u. dgl., und so auf den Flachdruck, chemischen Steindruck, die Autographie. Unter fort- währenden Mühen und Sorgen kam Sen- nefelder durch viele Versuche zu immer größerer Vervollkommnung seiner Er- findung. War er von den Ergebnissen einer Prüfung nach unzähligen Versuchen befriedigt, so führte ihn seine reiche Phan- tasie und seine scharfe Beobachtungsgabe gleich wieder auf etwas Neues. Er kam auf die Kreidemanier, auf die gestochene Manier, auf den Farbendruck, kurz auf alle jene wichtigen Anwendungen seiner ersten Erfindung, durch welche diese sich nach so vielen Seiten hin nutzbar erweist. Um seine Kunst zum Gemeingut zu ma- chen, gab er 1821 sein „Lehrbuch der Litho- graphie" heraus. Dieses Buch wurde in's Französische und Englische übersetzt und trug zur schnellen Verbreitung der neuen Erfindung nicht wenig bei. So sehr vervoll- kommnete sich diese, daß schon nach kurzer Zeitkunstwerkevon hohemwerthe geschaf- fen wurden, wie die von Piloty, Hanfstän- gel u. a. heransgegebenenblätter beweisen. Die Geschichte der menschlichen Cul- turentwicklung zeigt uns auf fast jedem Blatte die betrübende Erscheinung, daß diejenigen, denen die Welt eine neue Ent- deckung oder Erfindung verdankte, nur selten Anerkennung und Lohn gefunden, oft sogar in Armuth und bitterster Noth ihr Leben beschlossen haben. Sennefelder hatte nach Jahren herbster Entbehrungen doch noch das Glück, Früchte seines Rin- gens für sich reifen zu sehen. Nicht nur reiche Anerkennung ward ihm zu Theil, sondern auch eine sorgenfreie Stellung im Dienste des Staates. Bei der Steuer- vermessungs-Commission ward 1801 eine eigene lithographische Druckerei errichtet und Sennefelder als Inspektor derselben mit einem Gehalte von 1500 fl. angestellt. Nach wie vor aber lag er seinen Arbeiten und Versuchen ob, und noch gar manche Verbesserung an seinem Werke gelangte durch ihn zur Anwendung, selbst als er 1827 in den Ruhestand getreten war, setzte er seine Thätigkeit im Steindrucke unermüdet fort und erst der Tod steckte seinem Wirken ein Ziel. Nach kurzer Krankheit starb er im 63. Lebensjahre am 26. Februar 1834. Nicht minder achtungswerth denn als Künstler ist Sennefelder auch als Privat- mann. Er war einfach in seiner Lebens- weise, genügsam mit Wenigem und mäßig, besonders im Genusse von geistigen Ge- tränken ; dabei war er offenen Charakters und freigebig, mehr als seine Verhält- nisse ihm gestatteten, so daß er seiner Familie kein Vermögen hinterlassen konnte. Sennefelders Büste hat einen Platz in der Walhalla gefunden. Sein Name wird dankbar von Enkel zu Enkel sich fortpflanzen. Strebsamen Jünglingen mag er als ein nachahmens- wertstes Muster des ungebrochenen Muthes und der Ausdauer vorleuchten und sie anspornen zu unverdrossenem Ringen.

4. Deutsches Lesebuch für Mittelschulen - S. 477

1867 - München : Königl. Central-Schulbücher-Verl.
114. Distichen, Epigramme, Reime, Sprüche rc. 477 Liebe zum Edlen und Guten bringt Liebe zum Bessern und Edlern. Wer das Schöne erkennt, findet das Schönere bald. Horstig. Besser ist's, die Menschen sagen: Dreimal mehr verdientest du, Als daß Weise spöttisch fragen: Sagt, wie kam der Narr dazu? v. Göckingl. Sende nicht Worte mit fliegender Eile. Zürnende Worte sind brennende Pfeile, Tödten die Ruhe der Seele so schnell: Schwer ist's zu heilen, doch leicht zu ver- wunden. Wieland. Eins doch weiß ich, und dies Eine gibt mir Kraft und Zuversicht, Keine Nacht war noch so dunkel, der nicht obgesiegt das Licht! Keines Winters Eis so feste, daß der Lenz es nicht durchhieb! Keines Kerkers Wand so ewig, daß die Zeit sie nicht zerrieb. A. Grün. Was macht den Mann? Geschicklichkeit zu möglichst Vielem; Zufriedenheit mit möglichst Wenigem; Entschlossenheit zu Allem. I- Müller. Lehren, die kein' Nutzen schaffen, Knechte, die bis acht Uhr schlafen, Faule Mägde bei dem Rocken, Faule Küster bei den Glocken, Faule Meister und Gesellen, Knaben, die nichts lernen wollen, Faule Bettler auf der Straße Und Vaganten auf der Gasse, Müssiggänger bei der Brenthen, Faule Schüler und Studenten, Künste, die kein Brod eintragen, Soll' man all' zum Land 'nausjagen. Abr. a Sancta Clara. Im Glück nicht stolz sein und im Sturm nicht zagen, Das Unvermeidliche mit Würde tragen, Das Rechte thun, am Schönen sich erfreuen, Das Leben lieben und den Tod nicht scheuen, Und fest an Gott und bess're Zukunft glauben, Heißt leben, heißt demtod sein Bitteres rauben. K. Streckfuß. Wer wegen des Lohnes das Gute thut, Bei dem ist das Beste nicht mehr gut; D'rum sind die Leute kaum zu schelten, Die mit Bösem ihm das Gute vergelten. Du üb' es und denke nicht an Lohn, Trägst in dir selbst dann den besten davon. K. Streckfuß. Tadel mußt du lernen tragen, Dir die Wahrheit lassen sagen, Nicht darüber dich beklagen, Wenn es heilsam dich wird nagen. Rückert. Das magst du selbst am Kleinsten spüren: Wo die Schuld gegangen hinaus, Immer durch dieselben Thüren Tritt die Buße zu dir in's Haus. E. Geibel. Lüge, wie sie schlau sich hüte, Bricht am Ende stets das Bein; Kannst du wahr nicht sein aus Güte, Lern' ans Klugheit wahr zu sein. G. Geibel. Recht ist hüben zwar wie drüben, Aber darnach sollst du trachten, Eig'ne Rechte mild zu üben, Fremde Rechte streng zu achten. E. Geibel. Der spielt leicht übermüthig Spiel, Wem gleich der Sieg vom Himmel fiel; Wer siegen lernt in Niederlagen, Wird auch das Glück des Sieg's ertragen. E. Geibel. An Herzensreinheit bleib' ein Kind im Leben, Ein Jüngling an der Seele schönstergluth, Ein Mann an Kraft im weihevollen Streben, Ein G r e i s an Ruh', wenn man dir wehe thut. Földenyi. Wie Wolkenbilder über den Fluß, so schweben die Menschen durch's Leben, Sie wollen sich über die Fläche nicht auf Flügeln gen Himmel erheben; Sie wollen sich auch mit ihrem Gewicht hinab in die Tiefe nicht tauchen, D'rum kann ein jeglicher Wind so leicht ihr Alles im Nichts verhauchen. W. Müller. »Memento mori. Springst du freudig durch die Thüre in dein nengebautes Haus; Denk', ans dieser selben Thüre tragen sie dich einst heraus. W. Müller. J

5. Deutsches Lesebuch für Mittelschulen - S. 4

1867 - München : Königl. Central-Schulbücher-Verl.
4 Die Schrift macht den flüchtigen Gedanken sichtbar, daß er wie ein Blitz leuchtet, und befestigt das flüchtige Wort zum Stehen gleich einem Denkstein. Wie das Wort, begehre fest zu stehen; das zeigt das Sprich- wort an: „Ein Wort, ein Wort; ein Mann, ein Mann." Durch den Druck bekommt die Schrift Flügel, die schneller sind als Adlerflügel, und bekommt die Schrift Füße, auf welchen sie nach allen Orten und Enden geht, ebensowohl in die Hütten der Dürftigen, als in die Paläste der Reichen. (Claus Harms.) Achtung der Muttersprache. In einer Sprache wird man nur groß. — Sprechen ohne Sprache; Sprachen können und doch keine einzige in seiner Gewalt haben; wissen, wie Brod in allen Sprachen heißt, es aber in keiner verdienen; Raben- nachsprechen, Staarmätzigkeit, und Papageienkunst — entstellen kein Volk so sehr, als das deutsche. Klar wie des Deutschen Himmel, fest wie sein Land, ursprünglich wie seine Alpen und stark wie seine Ströme bleibe seine Sprache. Die Muttersprache muß gelehrt werden nicht für das bloße Wissen, sondern für Anwendung im Leben als Rechtschreiben, Rechtlesen, Recht- reden und Gesang. In seiner Muttersprache ehrt sich jedes Volk, in der Sprache Schatz ist die Urkunde seiner Bildungsgeschichte niedergelegt; hier waltet, wie im Einzelnen, das Sinnliche, Geistige, Sittliche. Ein Volk, das seine Sprache verlernt, gibt sein Stimmrecht in der Menschheit auf und ist zur stummen Rolle auf der Völkerbühne verwiesen. Mag es dann aller Welt Sprache begreifen und übergelehrt bei Babels Thurmbau zum Dolmetscher dienen, es ist kein Volk mehr, nur ein Mengsel von Staarmenschen. (F. L. Jahn.)

6. Deutsches Lesebuch für Mittelschulen - S. 13

1867 - München : Königl. Central-Schulbücher-Verl.
8. Kannnitverstan. 13 er mit Verwunderung dieses kostbare Ge- bäude, die Kamine auf dem Dache, die schönen Gesimse und die hohen Fenster, größer als an des Vaters Haus daheim die Thur. Endlich konnte er sich nicht enthalten, einen Vorübergehenden anzu- reden. „Guter Freund, könnt Ihr mir nicht sagen, wie der Herr heißt, dem dieses wunderschöne Haus gehört mit den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?" — Der Mann aber, der vermuthlich etwas Wichtigeres zu thun hatte, und zum Unglück gerade so viel von der deutschen Sprache verstand, als der Fragende von der holländischen, näm- lich nichts, sagte kurz und schnauzig: „Kannnitverstan," und schnurrte vorüber. Dies war ein holländisches Wort oder drei, wenn mans recht betrachtet, und heißt auf Deutsch so viel als: ich kann Euch nicht verstehn. Aber der gute Fremd- ling glaubte, es sei der Name des Man- nes, nach dem er gefragt hatte. Das muß ein grundreicher Mann sein, der Herr Kannnitverstan, dachte er, und ging weiter. Gaß aus, Gaß ein kam er end- lich an den Meerbusen, der da heißt: „Het Ep," oder ans Deutsch: „das Ipsi- lon." Da stand nun Schiff an Schiff und Mastbaum an Mastbaum; und er wußte anfänglich nicht, wie er es mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis endlich ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit an sich zog, das vor Kurzem aus Ost- indien angelangt war und jetzt eben aus- geladen wurde. Schon standen ganze Reihen von Kisten und Ballen auf- und nebeneinander am Lande. Noch immer wurden mehrere herausgewälzt, und Fässer voll Zucker und Kaffee, voll Reis und Pfeffer. Als er aber lange zugesehen hatte, fragte er endlich Einen, der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie der glückliche Mann heiße, dem das Meer alle diese Waaren an das Land bringe. „Kannnitverstan," war die Antwort. Da dachte er: Haha, schauts da heraus? Kein Wunder! wem das Meer solche Reichthümer an das Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stellen, und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten Scherben. Jetzt ging er wieder zurück und stellte eine recht trau- rige Betrachtung bei sich selbst an, was er für ein armer Mensch sei unter so viel reichen Leuten in der Welt. Aber als er eben dachte: wenn ich's doch nur auch einmal so gut bekäme, wie dieser Herr Kannnitverstan es hat, kam er um eine Ecke und erblickte einen großen Leichenzug. Vier schwarz vermummte Pferde zogen einen ebenfalls schwarz über- zogenen Leichenwagen langsam und trau- rig, als ob sie wüßten, daß sie einen Todten in seine Ruhe führteu. Ein langer Zug von Freunden und Bekannten des Verstorbenen folgte nach, Paar und Paar, verhüllt in schwarze Mäntel und stumm. In der Ferne läutete ein einsames Glöck- lein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein wehmüthiges Gefühl, das an keinem guten Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche sieht, und er blieb mit dem Hut in den Händen andächtig stehen, bis alles vor- über war. Doch machte er sich an den letzten vom Zug, der eben in der Stille ausrechnete, was er an seiner Baumwolle gewinnen könnte, wenn der Centner um zehn Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte am Mantel, und bat ihn treuherzig um Entschuldigung. „Das nulß wohl auch ein guter Freund von Euch gewesen sein," sagte er, „dem das Glücklein läutet, daß Ihr so betrübt und nachdenklich mit- geht." „Kannnitverstan!" war die Ant- wort. Da sielen unsern: guten Tutt- linger ein paar große Thränen aus den Augen, und es ward ihm auf einmal schwer und wieder leicht um's Herz. Armer Kannnitverstan, rief er aus, was hast du nuu von all deinem Reichthum? Was ich einst von meiner Armuth auch bekomme; ein Todtenkleid und ein Lein- tuch, und von allen deinen schönen Blumen vielleicht einen Rosmarin auf die kalte Brust, oder eine Raute. Mit diesen Ge- danken begleitete er die Leiche, als wenn er dazu gehörte, bis an's Grab, sah den vermeinten Herrn Kannnitverstan hinab- senken in seine Ruhestätte und ward von der holländischen Leichenpredigt, von der er kein Wort verstand, mehr gerührt, als von mancher deutschen, auf die er nicht acht gab. Endlich ging er leichten Herzens mit den Andern wieder fort, verzehrte in einer Herberge, wo man Deutsch ver-

7. Deutsches Lesebuch für Mittelschulen - S. 23

1867 - München : Königl. Central-Schulbücher-Verl.
14. Der Staar. 23 solche Weise benützt er seine Gewalt über die Herzen! — Er lebe hoch!" „Er lebe hoch!" wiederholte die ganze Menge. Dieser Vorfall wurde schnell in Warschau bekannt. Noch viele Andere kauften solche Reitpeitschen. Viele be- stellten auch sonst noch Arbeiten bei dem Sattler, und so gelangte er bald zu einem großen Wohlstände. Aber auch er vergaß in seinem Glücke der Armen nicht, und spendete ihnen reichliche „Kos- ciuszko's Hilfe", wie er nun seine Werke der Barmherzigkeit dankbar zu nennen pflegte. 14. Der Staar. Wer in Bayern gewesen ist, als Max Joseph das Land regierte, oder wer noch jetzt dahin kommt, der wird von diesem Könige Vieles vernehmen, woran er sich freuen kann. Er war aber auch recht die Freude und der Hort seiner Unterthanen, und sie liebten ihn, wie Kinder ihren Vater lieben. Auch war er Jedem zugänglich, und wer mit Thränen des Kummers bei ihm eintrat, der kam mit Thränen der Dankbarkeit von ihm heraus; denn auch wo er mit Thaten nicht helfen konnte, half er mit tröstenden Worten, die von dem Munde eines Königs noch bester zu Herzen gehn, als von andern. Früh schon und ehe er hoffen konnte irgend etwas zu regieren, außer dem Regimente, das ihm der König von Frankreich anvertraut hatte, galt er für den besten Mann im Lande, und gewann die Herzen aller, die ihm nahe kamen. Was aber gar oft geschieht, daß, wenn Stand, Macht und Reichthum wächst, das Herz sich zusammenzieht und wenn der äußere Mensch sich erhebt, der innere niedersinkt, das widerfuhr dem guten Max Joseph nicht: sein Herz blieb, wie es gewesen war, ehe die Krone sein Ha^pt schmückte, und der Strom mensch- liöster Gefühle ergoß sich bei ihm noch reicher, als zuvor, unter dem königlichen Purpurmantel. Darum ist er nie in ein Haus getreten und nie in eine Stadt, ohne die Liebe der Bewohner mit sich zu nehmen, und es war die Lust und der Stolz seines Volkes, ihm Zeichen der Liebe zu geben. Ich habe gesehen, wenn er von einer Reise oder sonst in die Hauptstadt zurückkam, und der offene Wagen langsam durch das Gedränge fuhr, daß Männer und Weiber geringen Standes durch die jubelnde Menge brachen, um dem Könige die Hand zu reichen, und er keine zurückwies, wie hart sie auch war. Gern mischte er sich uner- kannt und unbegleitet unter das Land- volk und hörte auf die Reden der Leute und fragte sie aus; denn er wußte, daß er so die Wahrheit besser erführe, als aus feilen Zeitungen, die Lob und Tadel nach den Launen ihrer Abnehmer aus- streuen. Oft, wenn er einsam ging, und ein bekanntes Gesicht von weitem sah, rief er ihm ein freundliches Wort zu, oder grüßte mit der Hand, und der Begrüßte fühlte sich geehrt und erzählte es den Seinigen wieder. Auch das er- freute alle Herzen, daß er ein so guter und liebevoller Hausvater war, seine Kinder immer gern um sich hatte und so häufig an der Seite seiner Gemahlin auf -einsamen Spaziergängen in vertrau- lichem Gespräche gesehen wurde. Sein Ausgang aus dem Leben war, wie er ihn selbst gewünscht hatte. Nur eine leise Ahnung von Unwohlsein ging vor ihm her; aber Niemand war besorgt, so wenig als er selbst: kein Arzt ward gerufen, kein Diener wachte bei ihm. Am Morgen, da er nicht zur gewöhn- lichen Frühzeit aufstand, und der Diener ungerufen in das Schlafzimmer trat, fand er ihn todt, in derselben Lage, die er beim Niederlegen genommen hatte, ohne ein Zeichen des Schmerzes auf seinem Angesichte. Schlummernd war er durch die dunkle Pforte des Todes gegangen. Die Bestürzung des Volkes war groß, die Trauer allgemein. Es war die Wehklage verwaister Kinder um einen geliebten Vater, ein aufrich- tiger Schmerz tiefer Liebe; und jede der zahllosen Thränen, die aus vollen Herzen um ihn flössen, war ein Opfer der Dank-

8. Deutsches Lesebuch für Mittelschulen - S. 30

1867 - München : Königl. Central-Schulbücher-Verl.
30 I. Erzählungen. er schnell ein undschifftehinüber. Jetztwurde der große Anker aufgewunden, der letzte Kanonenschuß ward gelöset, alle Wimpel flaggten, und mit vollen Segeln flog das Schiff dahin, dem Meere entgegen. Drei Vierteljahre gingen vorüber, und kein Jansen kehrte zurück oder ließ auch nur etwas von sich hören; wohl aber verbreiteten sich dunkle Gerüchte von deutschen Handelsschiffen, die in der Gegend von Neu - Amsterdam gescheitert seien. Die Miene des Herrn Hermann Gruit ward immer bedenklicher. Einen großen Verlust nach dem andern erlitt er durch den Fall mehrerer Handlungs- häuser zu Braunschweig, Nürnberg, Augs- burg und Ulm, und täglich noch trafen neue Unglücksbriefe ein. Am Jahres- schlüsse verglich er seine Bücher — und siehe da, was er gefürchtet hatte, erwies sich als Wahrheit: die Schulden über- stiegen sein Vermögen. Da legte er langsam die Feder weg, klappte leise das Buch zu und ging, schwer seufzend, aus der Schreibstube hinauf in das Familien- zimmer. Dort kleidete er sich in seine volle Amtstracht als Rathsherr, küßte seine Frau und seine drei Knaben und ging mit der Aeußerung, daß heute Sitzung sei, hinunter. Die grüne Gasse entlang schritt er dem Rathause zu; ein Diener trug ihm das schwere Hauptbuch nach. Im Rathhause legte er vor den erstaunten Amtsgefährten die Ehrenzeichen seiner Würde ab und erklärte seine Zah- lungsunfähigkeit. Man kann denken, wie groß das Staunen Aller war, daß das große Haus Gruit van Steen zu zahlen aufhören müsse. Indeß überzeugten sie sich ans der genauen Ansicht der Bücher, daß Herr Hermann an seinem Unglücke nicht Schuld sei und beschlossen, ihm noch eine halbjährige Frist zu gestatten, als die äußerste Zeit, in welcher man Jansen noch zurückerwarten könne, wenn das Schiff nicht verunglückt wäre. Aber das halbe Jahr verfloß; es vergingen zwei Monate darüber — und Jansen war nicht gekommen. Herrn Her- manns Umstände aber hatten sich noch verschlimmert. Da drangen die schon durch die be- willigte Frist erbitterten Gläubiger so ungestüm aus die strenge Vollziehung des Gesetzes und die Versteigerung aller ihrem Schuldner gehörigen Sachen, daß die Obrigkeit dem Rechte seinen Gang lassen mußte. Alles wurde unter Siegel ge- legt und dem armen Gruit nebst seiner Familie blieb nur das kleine Stübchen, wo sonst der Hausknecht geschlafen, links am Haupteingange des Hauses. Die Versteigerung begann; sie ge- schah in dem geräumigen Schreibzimmer, jenem Stübchen gegenüber; man konnte hier die laute Stimme des Ausrufers deutlich hören. Mit jedem Niederfallen des Hammers fuhr es dem Herrn Her- mann wie ein Schwert durch's Herz. Er saß tiefsinnig am Fenster und starrte das Schild seines Nachbars, des Wirths zum Westindienfahrer, an. Die Frau saß in der Tiefe der Stube mit roth- geweinten Augen, die Knaben aber spiel- ten mit dem großen Hunde. Da trat der Rathsdiener herein und sagte mitleidig: „Herr Senator, den Lehnsessel soll ich holen." Herr Hermann seufzte, und Thränen traten in seine Augen; in diesem mit grünem Sammet beschlagenen Lehnsessel war sein seliger Vater sanft entschlafen, und er war darum als ein Heiligthum im Hause gehalten. Doch er wurde nun hinausgetragen, und die ganze Familie folgte ihm nach, als könnte sie sich nicht von ihm trennen. Der Versteigerer rief: „Ein noch guter Lehnsessel, mit Sammet beschla- gen," — und eine lange Pause folgte, weil sich alle Blicke nach den jammern- den Hausbewohnern wandten. Endlich bot Jemand darauf mit vier Mark und der Auetionator rief mißmuthig: „Also vier Mark zum ersten!" In diesem Augenblicke rief eine starke Baßstimme zum offenen Fenster hinein: „Vierhundert Mark zum ersten!" Alles staunte; der Hund drängte sich gewaltsam und freudigbellend vor das Haus. Jetzt trat ein Mann in Schiffer- tracht in's Zimmer und rief nachdrücklich, indem er mit seinem spanischen Rohre auf den Tisch schlug: „Vierhundert Mark zum andern, zum dritten und letzten Mal!" „Gott, unser Jansen!" rief Hermann — und fiel ihm um den Hals. Der

9. Deutsches Lesebuch für Mittelschulen - S. 132

1867 - München : Königl. Central-Schulbücher-Verl.
132 Ii. Bilder aus der Länder- und Völkerkunde. Zuerst that sich das industrielle Talent der Genfer im Handel und in der An- fertigung von Leder- und Seidenwaaren, Spitzen und Messerschmiedarbeiten kund, doch wurden nebenbei auch nicht wenig Stand- und Pendeluhren verfertigt. Da geschah es, daß sich im Jahre 1587 Charles Cusin aus Burgund in Genf niederließ, der einer der geschicktesten Uhrmacher war und sich zuerst auf die Zusammensetzung von Taschenuhren ver- legte. Seine Uhren wurden mit Gold ausgewogen; lange Zeit blieb die Kunst bei seinen Arbeitern und Schülern ohne Konkurrenz von anderer Seite und ward für Genf eine Hauptquelle des Wohl- standes. Niemand hätte geglaubt, daß im benachbarten Ländchen Nenenburg (Nenfchatel), in den öden verlassenen Jurathälern, wo eine dürftige Bevöl- kerung dem armen Boden mit Mühe ihr Dasein abrang, ein glücklicher Rivale der Genfer erstehen würde! Als im Jahre 1630 die erste Thurm- uhr nach Locle gebracht wurde, versuch- ten sich sogleich mehrere Handwerker in der Zusammensetzung hölzerner Schlag- uhren, und besonders that sich als me- chanisches Talent ein junger Mann her- vor, Namens Richard, dem die Nach- ahmung am besten gelang. Im Jahre 1690 kehrte ein Bürger von Locle von einer weiten Reise heim und brachte eine Taschenuhr mit, die erste, welche die armen Bergbewohner zu sehen bekamen. An das Nachbilden eines solchen Kunst- 62. Das Unglück ti Wenn du aus der schweizerischen Cen- tralbahn von Bern nach Basel fährst, so kommst du, eine Stunde von Olten entfernt, nahe am Dorfe Hauen st ein durch einen jener unterirdischen Schie- nenwege, durch welche der Unterneh- mungsgeist unseres Jahrhunderts fast unüberwindlich scheinende Hindernisse des Bahnverkehrs bewältiget hat. Auf einer Strecke von mehr als 8000 Fuß wurde der Hauenstein durchbrochen; und acht Minuten bedarf selbst das rasche Dampf- roß, bis es den Zug wieder in's Freie führt. Das unheimliche, beengende Ge- werkes wagte sich aber keiner, bis die Uhr reparirt werden mußte, und Meister Richard sich erbot, die Reparatur zu versuchen. Er nahm die Theile sorg- fältig auseinander, untersuchte den Bau und nach langem Studium machte er sich an die Arbeit, die freilich sehr langsam von statten ging, da er die nöthigen Werkzeuge sich selber erst erfinden und anfertigen mußte. Endlich gelang das Werk und nun wollten's auch andere versuchen. Es entstand ein reger Wetteifer, der jedoch die aufgewandte Mühe und Arbeit schlecht lohnte, bis man sich aus Genf das taugliche Metall und die entsprechen- den Instrumente zu verschaffen wußte. Die Neuenburger machten bald so gute Fortschritte, daß ihre Werkzeuge noch die der Genfer übertrafen. Mehr als 120,000 Stück Uhren im Werth von 12 Mill. Franken werden alljährlich vom Kanton Neuenburg aus verschickt. Genf und Neuenburg zusammen ha- den im Jahre 1856 Uhren im Ge- wicht von 1913 Zentner versandt; nach Rußland allein gingen für 1,800,000 Franken fertige Uhren, für 60,000 Fr. Uhrenbestandtheile und für 30,000 Fr. Spieluhren. Die Schweizer Uhren-Jndustrie steht einzig da. Durch sie ist jene öde Berggegend kostbar und dicht bevölkert geworden, und wo früher nur ärmliche Hütten standen, befinden sich jetzt reiche, ansehnliche Häuser. Hauenstein - Tunnel. fühl, welches uns bei der Fahrt durch die dunkeln Tunnels beschleicht, wird hier noch gesteigert, wenn man des schreck- lichen Unglückes gedenkt, dessen in der Pfingstwoche 1857 diese düstern Räume Zeuge waren. Um der ihrer Vollendung nahen un- terirdischen Höhlung Luft zuzuführen, hatte man drei Schachte von oben in dieselbe abgeteuft, den mittleren derselben aber wegen des zu heftig zuströmenden Grubenwassers nicht ganz durchgeschlagen. Der südliche Schacht hatte einen Durch- messer von 12 Fuß und eine Tiefe von

10. Deutsches Lesebuch für Mittelschulen - S. 205

1867 - München : Königl. Central-Schulbücher-Verl.
94. Das alte Germanien und seine Bewohner. 205 doch nicht entbehren konnte, blieb Wei- bern und Knechten überlassen. Es for- derte Geduld im Kleinen und eilt ge- ringeres Maß von Kraft, daher schien dies des freien Mannes unwürdig. Vor allem ward der Knabe im Gebrauch der Lanze früh geübt, denn sie war das Zeichen der Ehre des Mannes, sie be- gleitete ihn, wo er ging und stand, in den Kampf, in die Versammlung der Volksgemeinde, zum Gastmahl. In dieser erregten Stimmung, welche im Kriege allein den Zweck des Lebens fand, ver- langte er auch von der müßigen Stunde einen stark aufreizenden Zeitvertreib. Da beschäftigte ihn die Jagd, er ergötzte sich am kriegerischen Tanze nackter Jüng- linge zwischen bloßen Schwertern; oder in der heißen Gier nicht des Gewinnens, sondern des verzweifelten Wagens, setzte er seine und der Seinen Freiheit im Würfelspiel auf einen einzigen Wurf. Gastmähler und Zechgelage zogen sich Nächte und Tage lang hin; sie begannen in geräuschvoller Fröhlichkeit mit der Besprechung von Familien- und Volks- angelegenheiten und endigten oft in blutigem Hader, wenn man zum Speer statt zum Trinkhorn griff. Fremden und Reisenden kam man mit unbegrenz- ter Gastfreiheit entgegen. Man aß und trank mit ihnen, so lange der Vorrath reichte; dann führte man sie in das Haus des Nachbars und half verzehren, was dieser vorzusetzen hatte. Bei aller Einfachheit des Lebens fehlte es nicht ganz an handwerksmäßi- ger Arbeit oder selbst Kunstfertigkeit. Alles Geräth, dessen man im Hause be- durfte, Pflug und Wagen, verfertigte der Knecht. Waffen anzufertigen, schämte sich auch der freie Mann nicht. Man verfertigte ferner eherne Helme mit Thier- köpfen und Flügeln, Thierbilder, Schilde und Opferbecken; auch Ringe für Hals und Arm, denn diese galten als'ein beliebter Schmuck, und das künstlich ge- arbeitete Trinkhorn als ein unentbehr- liches Hausgeräth. Die niedern Künste des Hauses, das Anfertigen der Kleidungsstücke, das Mahlen und Backen, das Brauen, Spin- nen und Weben war die Sache des Knechtes oder der Magd. Alles, was zu Haus und Hof des freien Mannes gehörte, Weib, Kinder und Knechte vertrat dieser nach Außen. Sie standen in seiner Hand, unter seinem Schutze, sie nahmen Theil an seiner Freiheit und wurden durch sie gedeckt. Für sie war er im Hause auch Priester; er rief die Götter an, und verkündete den Seinen ihren Willen aus den heiligen Loosstäben. Er machte in der Volksgemeinde den herangewach- senen Sohn durch die feierliche Ueber- gabe von Speer und Schild wehrhaft. Dadurch wurde dieser mündig und dem Vater an Ehre gleich; und nicht mehr der Familie allein, auch der Gemeinde gehörte er jetzt an. Einzelne Höfe zu bauen war Zwischen Weser und Rhein uralte Sitte; in anderen Gegenden nicht minder das Zusammenleben in Dörfern. Die Ein- zelhöfe waren verbunden durch das ge- meinsame Eigenthum an Weide und Wald in der Mark; bei den Dörfern kam noch die Feldgemeinschaft hinzu. So wurden die Anwohner Genossen einer Mark, sie wurden eine Markge- meinde. Mark ist jedes Zeichen, ein Grenz- zeichen, dann das von solchen Zeichen eingeschlossene Gebiet, das von den Ge- schlechtsgenossenursprünglich besetzteland, und in diesem Sinne entspricht das Wort Gau, d. h. Land, der Bezeichnung Mark. In den ältesten Zeiten war die erste große Mark zugleich der Gau; später traten beide immer mehr auseinander, und dieses wird die Bezeichnung der größeren, jenes der engeren örtlichen Gemeinschaft. Gleich im Anfange waren Recht und Eigenthum doppelt getheilt worden; man unterschied, was dem ein- zelnen freien Manne, und was der Ge- sammtheit Aller, der Genossenschaft, an Gütern der Natur zukommen sollte. Dem Einzelnen wurde der Raum für Haus, Hof und Garten durch irgend eine sinn- bildliche Handlung angewiesen, und etwa durch Umpflügen mit einem Joche Ochsen an einem Morgen die Grenzen seines Ackerlandes festgestellt. Alles zusammen, was ihm zugetheilt ward, Haus und Hof, Acker und Nutzung des Marklan- des, war seine Hufe, das Landgut,
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