1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
150. Jean Paul Friedrich Richter.
327
aus Büchern zu verschaffen und legte
dadurch schon damals den Grund zu jener
staunenswürdigen Belesenheit, welche wir
in all seinen Schriften bewundern. Bald
fühlte er auch das Bedürfniß, aus den
Schriften, welche er las, Auszüge zu fer-
tigen, und diese Arbeit fetzte er in steigen-
dem Maße während seines ganzen Lebens
fort.
Mit dem 16. Jahre bezog er das
Gymnasium zu Hof; kurz darauf starb
fein Vater, und da dieser kein Vermögen,
sondern noch Schulden hinterließ, so hatte
der strebsame Jüngling zehn Jahre lang
mit der bittersten Noth zu kämpfen. Doch
fühlte er diese zuerst weniger, weil seine
leiblichen Bedürftrisse nur gering und
also leicht zu befriedigen waren. Schon
in Hof, welches er nach zwei Jahren
verließ, um die Universität in Leipzig
zu besuchen, hatte sich die Lust in ihm
geregt, als Schriftsteller aufzutreten,
und zu Ende des Jahres 1781, da die
Armuth seiner Familie immer höher ge-
stiegen war und schwere Nahrungssorgen
über ihn kamen, entschloß er sich, durch
literarische Arbeiten seine Lage zu ver-
bessern. Doch währte es über ein Jahr,
bis er sein erstes Werk, „die grönlän-
dischen Prozesse," fertig hatte. Mit
dem Honorar dieser Erstlingsschrift,
15 Louisd'or, bezahlte er seine Schul-
den und miethete sich ein Gartenhäus-
chen , um da ungestört arbeiten zu kön-
nen. Bald aber wurde er aus seinem
Asyl vertrieben. Jean Paul hatte näm-
lich, den Gesetzen der damaligen Mode
Hohn sprechend, Zopf, Puder und Hals-
binde abgelegt, trug langes Haar und
offene Brust, was einen in demselben
Garten wohnenden Magister so empörte,
daß er beim Gartenbesitzer Klage erhob,
und da letzterer von Jean Paul ver-
langte, entweder sich der Mode zu fügen,
oder des Spazierengehens im Garten
zu enthalten, so bezog der angehende
Schriftsteller sein kleines Zimmer in der
Stadt wieder. Seine Mißachtung der
Allherrscherin Mode brachte ihm aber
noch manche Unannehmlichkeiten. In
Hof, wohin er sich nun wieder begab,
trug man noch allgemein den Zopf;
Jean Pauls Zopflosigkeit erregte dort
solches Aergerniß, daß er überall, wo
er sich blicken ließ, Verhöhnung erfuhr.
Die Erträgnisse der Schriftstellerei waren
nur karg, Jean Paul gerieth in solche
Noth, daß er zu seiner Mutter zog,
welche mit noch einigen Kindern selbst
in bitterster Armuth zu Hof lebte. Salat
und Brod waren die Hauptspeise der
Familie. „Wenn uns," so erzählt Jean
Paul später, „zuweilen ein Gulden in's
Haus kam, so war das ein solcher Jubel,
daß wir hätten die Fenster einschlagen
können." An einer anderen Stelle klagt
er, „daß es ihm in seinem Gefängnisse
zu Hof schlimmer gegangen sei, als
einem Baugefangenen bei Wasser und
Brod, da er nur das erstere gehabt
habe." Trotzdem dachte er nicht daran,
seine Talente und Kenntnisse zu irgend
einem Erwerb zu benutzen, sondern ar-
beitete rastlos an seinen Excerpten und
an neuen Aufsätzen; und obwohl sich zu
diesen kein Verleger fand, so ließ er sich
doch in seiner Hoffnung, daß er noch durch-
dringen werde, nicht irre machen. Und
seine Zuversicht täuschte ihn nicht; er
brach sich Bahn. Rasch folgten die Werke,
welche ihm unsterblichen Ruhm erwarben:
„Die Auswahl aus den Papieren des
Teufels, Leben des vergnügten Schul-
meisterleins Wuz, die unsichtbare Loge,
Hcsperus, Quintns Fixlein, der Armen-
advokat Sicbenkäs u. a. Erwähnung
verdient auch das zur Zeit seiner „Ge-
fangenschaft in Hof" entstandene „Mit-
wörterbuch," in welchem er verschiedene
Wörter und Redensarten zusammenstellte,
wie sie zum Ausdrucke irgend eines Be-
griffes gebraucht werden können. So
stellte er z. B. für den Begriff „Verschlim-
merung" 184, für „Sterben" gar 200
Ausdrücke zusammen.
Pfingsten 1796 hatte ihn in Bayreuth
die geistreiche Generalin Kalb kennen ge-
lernt, und durch sie ward er an den Hof
zu Weimar empfohlen. Auf's herzlichste
allda empfangen, fand er in dem Um-
gänge mit den gelehrten und geistreichen
Männern, welche Carl August damals
um sich geschaart, hohe Anregung, die
nicht ohne fördernden Einfluß auf ihn
blieb. Ein harter Schlag traf ihn, als
am 25. Juli 1797 seine von ihm zärt-
lich geliebte Mutter starb. „Wenn ich
alle Bücher der Erde wegwerfe, so lese
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- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
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328
Iii. Geschichtsbilder.
ich doch, gute Mutter, deines fort, worin
alle Qualen deiner Nächte stehen, und
worin ich dich in der Mitternacht mit der
keuchenden, siechenden Brust, den Faden
deines kargen Lebens ziehen sehe," —
schrieb er, als er nach ihrem Tode ein
Büchlein fand, worin die arme Mutter
von Monat zu Monat aufgezeichnet, was
sie gesponnen.
Ein neuer Abschnitt seines Lebens
begann 1801, wo er sich mit Karoline
Meier, Tochter eines Tribunalrathes in
Berlin, vermählte, mit welcher er bis an
sein Ende in glücklichster Ehe lebte.
Nachdem er einige Jahre in Berlin,
Meiningen und Coburg verlebt, fühlte er
das Bedürfniß, in seine liebe Heimat
zurück zu kehren. Im Jahre 1804 nahm
er seinen dauernden Wohnsitz in Bay-
reuth, der Hauptstadt des Fichtelgebirges.
Ein ihm zuerst vom Fürsten Primas, Karl
von Dalberg, und dann vom Könige
Max I. von Bayern ausgesetzter Jahr-
gehalt verschaffte ihm eine sorgenfreie
Stellung und die Möglichkeit, ungestört
nach seinen Neigungen arbeiten zu können.
Schon in der ersten Zeit seines Aufent-
haltes zu Bayreuth fühlte er das Be-
dürfniß, in einiger Entfernung von der
Stadt nach dem Fichtelgebirge zu einen
Ort zu finden, wo er ungestört ver-
weilen und ans der Tiefe seines Ge-
müthes schaffen könne. Das unschein-
bare Wirthshaus am Fuße der kleinen
Anhöhe zur Eremitage bot ihm dieses
ersehnte Plätzchen, und hier war es, wo
er in stiller Abgeschiedenheit seine späte-
ren poetischen Werke schuf, die Borschule
der Aesthetik, die Flegeljahre, Selina
und besonders Levana. In der ersten
Zeit ist er fast täglich dahin gegangen.
Da sah man den untersetzten, kräftig
gebauten Mann im schlichten Oberrocke,
mit offenem Halse, einen Knotenstock
in der Hand, einen Büchsenranzen über
der Achsel, bepackt mit Büchern und mit
dem Manuscripte, an welchem er eben
arbeitete, den großen weißen Spitz, den
treuen Begleiter zur Seite, schon in den
frühesten Morgenstunden durch die Alleen
des Hofgartens und durch die Linden-
allee vor dem Eremitagethore die sanfte
Anhöhe nach dem Wirthshäuschen empor-
schreiten; und so fast 20 Jahre lang, i
Im Hinterhause, eine Stiege hoch, liegt
ein bescheidenes Stübchen mit ein paar
Fenstern, welche eine liebliche Aussicht
in den hier kesselartigen Thalgrund des
rothen Maines, auf die waldigen Berg-
höhen zu beiden Seiten desselben, auf
freundliche Weiler und Höhen im Thale
und endlich im Hintergründe auf die
blauen, über einander gegipfelten Berge
des Fichtelgebirges gewähren. Die Aus-
stattung des Zimmers ist heute noch
dieselbe, wie zur Zeit des Dichters. An
diesem Tische schrieb er einen großen
Theil seiner Levana und viele andere
Werke. Aus diesen Fenstern schickte
er die sehnsuchtsvollen Blicke nach den
Bergen, hinter welchen er geboren war
und seine einfache Jugend verlebt hatte.
Von diesem Häuschen aus durchstreifte
er auch oft die wahrhaft reizende Um-
gegend. Am Abend kam gewöhnlich
Richters Familie hieher, um ihn abzu-
holen. In den späteren Jahren kam er
nur noch einigemale in der Woche dahin
und als er erkrankte und in der letzten
trüben Zeit gar erblindete, sah man ihn
nicht mehr zu seinem Lieblingsaufent-
halte wandern. Am Eingang des Hauses
ließt man jetzt auf einer Marmortafel
mit goldenen Lettern: „Rollwenzels-
Haus. Hier dichtete Jean Paul."
Er selbst war ein Mann der streng-
sten Ordnung, des entschiedensten Wil-
lens, aber auch der innigsten Liebe, und
Hausherr in der vollsten Bedeutung des
Wortes.
An Jean Paul bewundern wir nicht
nur den klarsten, schwunghaftesten Geist,
die reichste, kühnste und gewaltigste Phan-
tasie und den hohen edlen Sinn, er hatte
auch das liebevollste, edelste Herz, das
je in eines Menschen Brust geschlagen.
Als Sohn der Armuth bewahrte er
immer dem Volke seine treue innige
Zuneigung und wollte lieber ein armer
Mann bleiben, als sich von den kleinen
Höfen, wo er ungewöhnlich ausgezeichnet
wurde, fesseln zu lassen. Er sang nicht
in den Palästen der Reichen; er scherzte
nicht mit seiner Leyer an den Tischen der
Fürsten, er war der Dichter der Nieder-
gebornen, er war der Sänger der Armen
und wo Betrübte weinten, da vernahm
man die weichen Töne seiner Harfe; er
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332
Iii. Geschichtsbilder. 152. Alois Sennefelder.
Vorrichtungen zu ersinnen, um reine
Abdrücke zu erzielen. Sennefelder aber,
in die tiefste Armuth herabgesunken,
mußte seine Hoffnung auf bessere Zeiten
verschieben. So verzweifelt war seine
Lage, daß er sich als Stellvertreter
eines Militärpflichtigen in's Heer ver-
kaufen wollte, in welches er jedoch, als
ein Ausländen, nicht aufgenommen ward.
Er fristete nun sein Leben mit Noten-
schreiben, und bei dieser Beschäftigung
kam er auf den Gedanken, ob er seine
Erfindung nicht für den Notendruck ver-
werthen könne. Er verbesserte seine Tinte
und construirte auch eine Presse, die aller-
dings bei seinem Mangel an Mitteln nur
armselig ausfallen konnte. Indeß derver-
such gelang, und die erste Arbeit, 12 Lie-
der mit Clavierbegleitung, trug ihm vom
Kurfürsten Karl Theodor eine Belohnung
von 100 fl. ein. Nach mehrfachen mißlun-
genen Versuchen, eine geeignete Presse her-
zustellen, diebeimdruckedensteinnichtzer-
trümmerte, erfand Sennefelder im Jahre
1797 die Stangen- oder Galgenpresse,
die einen gleichmäßigen Druck ausübt und
täglich mehr als 1000 Abzüge liefert.
Freundlich stand dem strebsamen
Manne der Schulrath und Inspektor des
Central-Schulbücher-Verlags, Steiner,
zur Seite; dieser ertheilte ihm mehrfache
Aufträge und namentlich ließ er Bilder-
Abdrücke für Gebetbücher fertigen.
Versuche, das mit Bleistift und Röthel
Geschriebene aus den Stein zu drucken,
um so das Verkehrtschreiben zu umgehen,
führten auf den Ueberdruck und Wieder-
druck von Lettern, Kupferstichen u. dgl.,
und so auf den Flachdruck, chemischen
Steindruck, die Autographie. Unter fort-
währenden Mühen und Sorgen kam Sen-
nefelder durch viele Versuche zu immer
größerer Vervollkommnung seiner Er-
findung. War er von den Ergebnissen
einer Prüfung nach unzähligen Versuchen
befriedigt, so führte ihn seine reiche Phan-
tasie und seine scharfe Beobachtungsgabe
gleich wieder auf etwas Neues. Er kam
auf die Kreidemanier, auf die gestochene
Manier, auf den Farbendruck, kurz auf
alle jene wichtigen Anwendungen seiner
ersten Erfindung, durch welche diese sich
nach so vielen Seiten hin nutzbar erweist.
Um seine Kunst zum Gemeingut zu ma-
chen, gab er 1821 sein „Lehrbuch der Litho-
graphie" heraus. Dieses Buch wurde in's
Französische und Englische übersetzt und
trug zur schnellen Verbreitung der neuen
Erfindung nicht wenig bei. So sehr vervoll-
kommnete sich diese, daß schon nach kurzer
Zeitkunstwerkevon hohemwerthe geschaf-
fen wurden, wie die von Piloty, Hanfstän-
gel u. a. heransgegebenenblätter beweisen.
Die Geschichte der menschlichen Cul-
turentwicklung zeigt uns auf fast jedem
Blatte die betrübende Erscheinung, daß
diejenigen, denen die Welt eine neue Ent-
deckung oder Erfindung verdankte, nur
selten Anerkennung und Lohn gefunden,
oft sogar in Armuth und bitterster Noth
ihr Leben beschlossen haben. Sennefelder
hatte nach Jahren herbster Entbehrungen
doch noch das Glück, Früchte seines Rin-
gens für sich reifen zu sehen. Nicht nur
reiche Anerkennung ward ihm zu Theil,
sondern auch eine sorgenfreie Stellung
im Dienste des Staates. Bei der Steuer-
vermessungs-Commission ward 1801 eine
eigene lithographische Druckerei errichtet
und Sennefelder als Inspektor derselben
mit einem Gehalte von 1500 fl. angestellt.
Nach wie vor aber lag er seinen Arbeiten
und Versuchen ob, und noch gar manche
Verbesserung an seinem Werke gelangte
durch ihn zur Anwendung, selbst als er
1827 in den Ruhestand getreten war,
setzte er seine Thätigkeit im Steindrucke
unermüdet fort und erst der Tod steckte
seinem Wirken ein Ziel. Nach kurzer
Krankheit starb er im 63. Lebensjahre
am 26. Februar 1834.
Nicht minder achtungswerth denn als
Künstler ist Sennefelder auch als Privat-
mann. Er war einfach in seiner Lebens-
weise, genügsam mit Wenigem und mäßig,
besonders im Genusse von geistigen Ge-
tränken ; dabei war er offenen Charakters
und freigebig, mehr als seine Verhält-
nisse ihm gestatteten, so daß er seiner
Familie kein Vermögen hinterlassen konnte.
Sennefelders Büste hat einen Platz in
der Walhalla gefunden.
Sein Name wird dankbar von Enkel
zu Enkel sich fortpflanzen. Strebsamen
Jünglingen mag er als ein nachahmens-
wertstes Muster des ungebrochenen Muthes
und der Ausdauer vorleuchten und sie
anspornen zu unverdrossenem Ringen.
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- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
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114. Distichen, Epigramme, Reime, Sprüche rc.
477
Liebe zum Edlen und Guten bringt Liebe zum Bessern und Edlern.
Wer das Schöne erkennt, findet das Schönere bald. Horstig.
Besser ist's, die Menschen sagen:
Dreimal mehr verdientest du,
Als daß Weise spöttisch fragen:
Sagt, wie kam der Narr dazu?
v. Göckingl.
Sende nicht Worte mit fliegender Eile.
Zürnende Worte sind brennende Pfeile,
Tödten die Ruhe der Seele so schnell:
Schwer ist's zu heilen, doch leicht zu ver-
wunden. Wieland.
Eins doch weiß ich, und dies Eine gibt mir Kraft und Zuversicht,
Keine Nacht war noch so dunkel, der nicht obgesiegt das Licht!
Keines Winters Eis so feste, daß der Lenz es nicht durchhieb!
Keines Kerkers Wand so ewig, daß die Zeit sie nicht zerrieb. A. Grün.
Was macht den Mann?
Geschicklichkeit zu möglichst Vielem;
Zufriedenheit mit möglichst Wenigem;
Entschlossenheit zu Allem. I- Müller.
Lehren, die kein' Nutzen schaffen,
Knechte, die bis acht Uhr schlafen,
Faule Mägde bei dem Rocken,
Faule Küster bei den Glocken,
Faule Meister und Gesellen,
Knaben, die nichts lernen wollen,
Faule Bettler auf der Straße
Und Vaganten auf der Gasse,
Müssiggänger bei der Brenthen,
Faule Schüler und Studenten,
Künste, die kein Brod eintragen,
Soll' man all' zum Land 'nausjagen.
Abr. a Sancta Clara.
Im Glück nicht stolz sein und im Sturm
nicht zagen,
Das Unvermeidliche mit Würde tragen,
Das Rechte thun, am Schönen sich erfreuen,
Das Leben lieben und den Tod nicht scheuen,
Und fest an Gott und bess're Zukunft glauben,
Heißt leben, heißt demtod sein Bitteres rauben.
K. Streckfuß.
Wer wegen des Lohnes das Gute thut,
Bei dem ist das Beste nicht mehr gut;
D'rum sind die Leute kaum zu schelten,
Die mit Bösem ihm das Gute vergelten.
Du üb' es und denke nicht an Lohn,
Trägst in dir selbst dann den besten davon.
K. Streckfuß.
Tadel mußt du lernen tragen,
Dir die Wahrheit lassen sagen,
Nicht darüber dich beklagen,
Wenn es heilsam dich wird nagen.
Rückert.
Das magst du selbst am Kleinsten spüren:
Wo die Schuld gegangen hinaus,
Immer durch dieselben Thüren
Tritt die Buße zu dir in's Haus.
E. Geibel.
Lüge, wie sie schlau sich hüte,
Bricht am Ende stets das Bein;
Kannst du wahr nicht sein aus Güte,
Lern' ans Klugheit wahr zu sein.
G. Geibel.
Recht ist hüben zwar wie drüben,
Aber darnach sollst du trachten,
Eig'ne Rechte mild zu üben,
Fremde Rechte streng zu achten.
E. Geibel.
Der spielt leicht übermüthig Spiel,
Wem gleich der Sieg vom Himmel fiel;
Wer siegen lernt in Niederlagen,
Wird auch das Glück des Sieg's ertragen.
E. Geibel.
An Herzensreinheit bleib' ein Kind im Leben,
Ein Jüngling an der Seele schönstergluth,
Ein Mann an Kraft im weihevollen Streben,
Ein G r e i s an Ruh', wenn man dir wehe thut.
Földenyi.
Wie Wolkenbilder über den Fluß, so schweben die Menschen durch's Leben,
Sie wollen sich über die Fläche nicht auf Flügeln gen Himmel erheben;
Sie wollen sich auch mit ihrem Gewicht hinab in die Tiefe nicht tauchen,
D'rum kann ein jeglicher Wind so leicht ihr Alles im Nichts verhauchen.
W. Müller.
»Memento mori.
Springst du freudig durch die Thüre in dein nengebautes Haus;
Denk', ans dieser selben Thüre tragen sie dich einst heraus. W. Müller.
J
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4
Die Schrift macht den flüchtigen Gedanken sichtbar, daß er wie ein
Blitz leuchtet, und befestigt das flüchtige Wort zum Stehen gleich einem
Denkstein. Wie das Wort, begehre fest zu stehen; das zeigt das Sprich-
wort an: „Ein Wort, ein Wort; ein Mann, ein Mann."
Durch den Druck bekommt die Schrift Flügel, die schneller sind als
Adlerflügel, und bekommt die Schrift Füße, auf welchen sie nach allen
Orten und Enden geht, ebensowohl in die Hütten der Dürftigen, als in
die Paläste der Reichen.
(Claus Harms.)
Achtung der Muttersprache.
In einer Sprache wird man nur groß. — Sprechen ohne Sprache;
Sprachen können und doch keine einzige in seiner Gewalt haben; wissen,
wie Brod in allen Sprachen heißt, es aber in keiner verdienen; Raben-
nachsprechen, Staarmätzigkeit, und Papageienkunst — entstellen kein Volk so
sehr, als das deutsche.
Klar wie des Deutschen Himmel, fest wie sein Land, ursprünglich
wie seine Alpen und stark wie seine Ströme bleibe seine Sprache.
Die Muttersprache muß gelehrt werden nicht für das bloße Wissen,
sondern für Anwendung im Leben als Rechtschreiben, Rechtlesen, Recht-
reden und Gesang.
In seiner Muttersprache ehrt sich jedes Volk, in der Sprache Schatz
ist die Urkunde seiner Bildungsgeschichte niedergelegt; hier waltet, wie im
Einzelnen, das Sinnliche, Geistige, Sittliche. Ein Volk, das seine Sprache
verlernt, gibt sein Stimmrecht in der Menschheit auf und ist zur stummen
Rolle auf der Völkerbühne verwiesen. Mag es dann aller Welt Sprache
begreifen und übergelehrt bei Babels Thurmbau zum Dolmetscher dienen,
es ist kein Volk mehr, nur ein Mengsel von Staarmenschen.
(F. L. Jahn.)
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8. Kannnitverstan.
13
er mit Verwunderung dieses kostbare Ge-
bäude, die Kamine auf dem Dache, die
schönen Gesimse und die hohen Fenster,
größer als an des Vaters Haus daheim
die Thur. Endlich konnte er sich nicht
enthalten, einen Vorübergehenden anzu-
reden. „Guter Freund, könnt Ihr mir
nicht sagen, wie der Herr heißt, dem
dieses wunderschöne Haus gehört mit den
Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen
und Levkojen?" — Der Mann aber, der
vermuthlich etwas Wichtigeres zu thun
hatte, und zum Unglück gerade so viel
von der deutschen Sprache verstand, als
der Fragende von der holländischen, näm-
lich nichts, sagte kurz und schnauzig:
„Kannnitverstan," und schnurrte vorüber.
Dies war ein holländisches Wort oder
drei, wenn mans recht betrachtet, und
heißt auf Deutsch so viel als: ich kann
Euch nicht verstehn. Aber der gute Fremd-
ling glaubte, es sei der Name des Man-
nes, nach dem er gefragt hatte. Das
muß ein grundreicher Mann sein, der
Herr Kannnitverstan, dachte er, und ging
weiter. Gaß aus, Gaß ein kam er end-
lich an den Meerbusen, der da heißt:
„Het Ep," oder ans Deutsch: „das Ipsi-
lon." Da stand nun Schiff an Schiff
und Mastbaum an Mastbaum; und er
wußte anfänglich nicht, wie er es mit
seinen zwei einzigen Augen durchfechten
werde, alle diese Merkwürdigkeiten genug
zu sehen und zu betrachten, bis endlich
ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit
an sich zog, das vor Kurzem aus Ost-
indien angelangt war und jetzt eben aus-
geladen wurde. Schon standen ganze
Reihen von Kisten und Ballen auf- und
nebeneinander am Lande. Noch immer
wurden mehrere herausgewälzt, und Fässer
voll Zucker und Kaffee, voll Reis und
Pfeffer. Als er aber lange zugesehen
hatte, fragte er endlich Einen, der eben
eine Kiste auf der Achsel heraustrug, wie
der glückliche Mann heiße, dem das Meer
alle diese Waaren an das Land bringe.
„Kannnitverstan," war die Antwort. Da
dachte er: Haha, schauts da heraus?
Kein Wunder! wem das Meer solche
Reichthümer an das Land schwemmt, der
hat gut solche Häuser in die Welt stellen,
und solcherlei Tulipanen vor die Fenster
in vergoldeten Scherben. Jetzt ging er
wieder zurück und stellte eine recht trau-
rige Betrachtung bei sich selbst an, was
er für ein armer Mensch sei unter so
viel reichen Leuten in der Welt. Aber
als er eben dachte: wenn ich's doch nur
auch einmal so gut bekäme, wie dieser
Herr Kannnitverstan es hat, kam er um
eine Ecke und erblickte einen großen
Leichenzug. Vier schwarz vermummte
Pferde zogen einen ebenfalls schwarz über-
zogenen Leichenwagen langsam und trau-
rig, als ob sie wüßten, daß sie einen
Todten in seine Ruhe führteu. Ein langer
Zug von Freunden und Bekannten des
Verstorbenen folgte nach, Paar und Paar,
verhüllt in schwarze Mäntel und stumm.
In der Ferne läutete ein einsames Glöck-
lein. Jetzt ergriff unsern Fremdling ein
wehmüthiges Gefühl, das an keinem guten
Menschen vorübergeht, wenn er eine Leiche
sieht, und er blieb mit dem Hut in den
Händen andächtig stehen, bis alles vor-
über war. Doch machte er sich an den
letzten vom Zug, der eben in der Stille
ausrechnete, was er an seiner Baumwolle
gewinnen könnte, wenn der Centner um
zehn Gulden aufschlüge, ergriff ihn sachte
am Mantel, und bat ihn treuherzig um
Entschuldigung. „Das nulß wohl auch
ein guter Freund von Euch gewesen
sein," sagte er, „dem das Glücklein läutet,
daß Ihr so betrübt und nachdenklich mit-
geht." „Kannnitverstan!" war die Ant-
wort. Da sielen unsern: guten Tutt-
linger ein paar große Thränen aus den
Augen, und es ward ihm auf einmal
schwer und wieder leicht um's Herz.
Armer Kannnitverstan, rief er aus, was
hast du nuu von all deinem Reichthum?
Was ich einst von meiner Armuth auch
bekomme; ein Todtenkleid und ein Lein-
tuch, und von allen deinen schönen Blumen
vielleicht einen Rosmarin auf die kalte
Brust, oder eine Raute. Mit diesen Ge-
danken begleitete er die Leiche, als wenn
er dazu gehörte, bis an's Grab, sah den
vermeinten Herrn Kannnitverstan hinab-
senken in seine Ruhestätte und ward von
der holländischen Leichenpredigt, von der
er kein Wort verstand, mehr gerührt, als
von mancher deutschen, auf die er nicht
acht gab. Endlich ging er leichten Herzens
mit den Andern wieder fort, verzehrte
in einer Herberge, wo man Deutsch ver-
1867 -
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14. Der Staar.
23
solche Weise benützt er seine Gewalt
über die Herzen! — Er lebe hoch!"
„Er lebe hoch!" wiederholte die ganze
Menge.
Dieser Vorfall wurde schnell in
Warschau bekannt. Noch viele Andere
kauften solche Reitpeitschen. Viele be-
stellten auch sonst noch Arbeiten bei dem
Sattler, und so gelangte er bald zu
einem großen Wohlstände. Aber auch er
vergaß in seinem Glücke der Armen
nicht, und spendete ihnen reichliche „Kos-
ciuszko's Hilfe", wie er nun seine
Werke der Barmherzigkeit dankbar zu
nennen pflegte.
14. Der Staar.
Wer in Bayern gewesen ist, als
Max Joseph das Land regierte, oder
wer noch jetzt dahin kommt, der wird
von diesem Könige Vieles vernehmen,
woran er sich freuen kann. Er war
aber auch recht die Freude und der Hort
seiner Unterthanen, und sie liebten ihn,
wie Kinder ihren Vater lieben. Auch
war er Jedem zugänglich, und wer mit
Thränen des Kummers bei ihm eintrat,
der kam mit Thränen der Dankbarkeit
von ihm heraus; denn auch wo er mit
Thaten nicht helfen konnte, half er mit
tröstenden Worten, die von dem Munde
eines Königs noch bester zu Herzen gehn,
als von andern. Früh schon und ehe
er hoffen konnte irgend etwas zu regieren,
außer dem Regimente, das ihm der König
von Frankreich anvertraut hatte, galt er
für den besten Mann im Lande, und
gewann die Herzen aller, die ihm nahe
kamen. Was aber gar oft geschieht,
daß, wenn Stand, Macht und Reichthum
wächst, das Herz sich zusammenzieht und
wenn der äußere Mensch sich erhebt, der
innere niedersinkt, das widerfuhr dem
guten Max Joseph nicht: sein Herz blieb,
wie es gewesen war, ehe die Krone sein
Ha^pt schmückte, und der Strom mensch-
liöster Gefühle ergoß sich bei ihm noch
reicher, als zuvor, unter dem königlichen
Purpurmantel. Darum ist er nie in
ein Haus getreten und nie in eine Stadt,
ohne die Liebe der Bewohner mit sich
zu nehmen, und es war die Lust und
der Stolz seines Volkes, ihm Zeichen
der Liebe zu geben. Ich habe gesehen,
wenn er von einer Reise oder sonst in
die Hauptstadt zurückkam, und der offene
Wagen langsam durch das Gedränge
fuhr, daß Männer und Weiber geringen
Standes durch die jubelnde Menge brachen,
um dem Könige die Hand zu reichen,
und er keine zurückwies, wie hart sie
auch war. Gern mischte er sich uner-
kannt und unbegleitet unter das Land-
volk und hörte auf die Reden der Leute
und fragte sie aus; denn er wußte, daß
er so die Wahrheit besser erführe, als
aus feilen Zeitungen, die Lob und Tadel
nach den Launen ihrer Abnehmer aus-
streuen. Oft, wenn er einsam ging,
und ein bekanntes Gesicht von weitem
sah, rief er ihm ein freundliches Wort
zu, oder grüßte mit der Hand, und der
Begrüßte fühlte sich geehrt und erzählte
es den Seinigen wieder. Auch das er-
freute alle Herzen, daß er ein so guter
und liebevoller Hausvater war, seine
Kinder immer gern um sich hatte und
so häufig an der Seite seiner Gemahlin
auf -einsamen Spaziergängen in vertrau-
lichem Gespräche gesehen wurde. Sein
Ausgang aus dem Leben war, wie er
ihn selbst gewünscht hatte. Nur eine
leise Ahnung von Unwohlsein ging vor
ihm her; aber Niemand war besorgt,
so wenig als er selbst: kein Arzt ward
gerufen, kein Diener wachte bei ihm.
Am Morgen, da er nicht zur gewöhn-
lichen Frühzeit aufstand, und der Diener
ungerufen in das Schlafzimmer trat,
fand er ihn todt, in derselben Lage, die
er beim Niederlegen genommen hatte,
ohne ein Zeichen des Schmerzes auf
seinem Angesichte. Schlummernd war
er durch die dunkle Pforte des Todes
gegangen. Die Bestürzung des Volkes
war groß, die Trauer allgemein. Es
war die Wehklage verwaister Kinder
um einen geliebten Vater, ein aufrich-
tiger Schmerz tiefer Liebe; und jede der
zahllosen Thränen, die aus vollen Herzen
um ihn flössen, war ein Opfer der Dank-
1867 -
München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
30
I. Erzählungen.
er schnell ein undschifftehinüber. Jetztwurde
der große Anker aufgewunden, der letzte
Kanonenschuß ward gelöset, alle Wimpel
flaggten, und mit vollen Segeln flog das
Schiff dahin, dem Meere entgegen.
Drei Vierteljahre gingen vorüber,
und kein Jansen kehrte zurück oder ließ
auch nur etwas von sich hören; wohl
aber verbreiteten sich dunkle Gerüchte
von deutschen Handelsschiffen, die in der
Gegend von Neu - Amsterdam gescheitert
seien. Die Miene des Herrn Hermann
Gruit ward immer bedenklicher. Einen
großen Verlust nach dem andern erlitt
er durch den Fall mehrerer Handlungs-
häuser zu Braunschweig, Nürnberg, Augs-
burg und Ulm, und täglich noch trafen
neue Unglücksbriefe ein. Am Jahres-
schlüsse verglich er seine Bücher — und
siehe da, was er gefürchtet hatte, erwies
sich als Wahrheit: die Schulden über-
stiegen sein Vermögen. Da legte er
langsam die Feder weg, klappte leise das
Buch zu und ging, schwer seufzend, aus
der Schreibstube hinauf in das Familien-
zimmer. Dort kleidete er sich in seine
volle Amtstracht als Rathsherr, küßte
seine Frau und seine drei Knaben und
ging mit der Aeußerung, daß heute
Sitzung sei, hinunter. Die grüne Gasse
entlang schritt er dem Rathause zu; ein
Diener trug ihm das schwere Hauptbuch
nach. Im Rathhause legte er vor den
erstaunten Amtsgefährten die Ehrenzeichen
seiner Würde ab und erklärte seine Zah-
lungsunfähigkeit.
Man kann denken, wie groß das
Staunen Aller war, daß das große Haus
Gruit van Steen zu zahlen aufhören
müsse. Indeß überzeugten sie sich ans
der genauen Ansicht der Bücher, daß
Herr Hermann an seinem Unglücke nicht
Schuld sei und beschlossen, ihm noch eine
halbjährige Frist zu gestatten, als die
äußerste Zeit, in welcher man Jansen
noch zurückerwarten könne, wenn das
Schiff nicht verunglückt wäre.
Aber das halbe Jahr verfloß; es
vergingen zwei Monate darüber — und
Jansen war nicht gekommen. Herrn Her-
manns Umstände aber hatten sich noch
verschlimmert.
Da drangen die schon durch die be-
willigte Frist erbitterten Gläubiger so
ungestüm aus die strenge Vollziehung des
Gesetzes und die Versteigerung aller ihrem
Schuldner gehörigen Sachen, daß die
Obrigkeit dem Rechte seinen Gang lassen
mußte. Alles wurde unter Siegel ge-
legt und dem armen Gruit nebst seiner
Familie blieb nur das kleine Stübchen,
wo sonst der Hausknecht geschlafen, links
am Haupteingange des Hauses.
Die Versteigerung begann; sie ge-
schah in dem geräumigen Schreibzimmer,
jenem Stübchen gegenüber; man konnte
hier die laute Stimme des Ausrufers
deutlich hören. Mit jedem Niederfallen
des Hammers fuhr es dem Herrn Her-
mann wie ein Schwert durch's Herz.
Er saß tiefsinnig am Fenster und starrte
das Schild seines Nachbars, des Wirths
zum Westindienfahrer, an. Die Frau
saß in der Tiefe der Stube mit roth-
geweinten Augen, die Knaben aber spiel-
ten mit dem großen Hunde.
Da trat der Rathsdiener herein und
sagte mitleidig: „Herr Senator, den
Lehnsessel soll ich holen."
Herr Hermann seufzte, und Thränen
traten in seine Augen; in diesem mit
grünem Sammet beschlagenen Lehnsessel
war sein seliger Vater sanft entschlafen,
und er war darum als ein Heiligthum
im Hause gehalten. Doch er wurde nun
hinausgetragen, und die ganze Familie
folgte ihm nach, als könnte sie sich nicht
von ihm trennen.
Der Versteigerer rief: „Ein noch
guter Lehnsessel, mit Sammet beschla-
gen," — und eine lange Pause folgte,
weil sich alle Blicke nach den jammern-
den Hausbewohnern wandten. Endlich
bot Jemand darauf mit vier Mark und
der Auetionator rief mißmuthig: „Also
vier Mark zum ersten!"
In diesem Augenblicke rief eine starke
Baßstimme zum offenen Fenster hinein:
„Vierhundert Mark zum ersten!"
Alles staunte; der Hund drängte sich
gewaltsam und freudigbellend vor das
Haus. Jetzt trat ein Mann in Schiffer-
tracht in's Zimmer und rief nachdrücklich,
indem er mit seinem spanischen Rohre auf
den Tisch schlug: „Vierhundert Mark zum
andern, zum dritten und letzten Mal!"
„Gott, unser Jansen!" rief Hermann
— und fiel ihm um den Hals. Der
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München
: Königl. Central-Schulbücher-Verl.
- Autor: Marschall, Georg Nicolaus
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Mittlere Lehranstalten, Fortbildungsschule, Präparandenschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
- Regionen (OPAC): Bayern
132
Ii. Bilder aus der Länder- und Völkerkunde.
Zuerst that sich das industrielle Talent
der Genfer im Handel und in der An-
fertigung von Leder- und Seidenwaaren,
Spitzen und Messerschmiedarbeiten kund,
doch wurden nebenbei auch nicht wenig
Stand- und Pendeluhren verfertigt. Da
geschah es, daß sich im Jahre 1587
Charles Cusin aus Burgund in Genf
niederließ, der einer der geschicktesten
Uhrmacher war und sich zuerst auf die
Zusammensetzung von Taschenuhren ver-
legte. Seine Uhren wurden mit Gold
ausgewogen; lange Zeit blieb die Kunst
bei seinen Arbeitern und Schülern ohne
Konkurrenz von anderer Seite und ward
für Genf eine Hauptquelle des Wohl-
standes. Niemand hätte geglaubt, daß
im benachbarten Ländchen Nenenburg
(Nenfchatel), in den öden verlassenen
Jurathälern, wo eine dürftige Bevöl-
kerung dem armen Boden mit Mühe
ihr Dasein abrang, ein glücklicher Rivale
der Genfer erstehen würde!
Als im Jahre 1630 die erste Thurm-
uhr nach Locle gebracht wurde, versuch-
ten sich sogleich mehrere Handwerker in
der Zusammensetzung hölzerner Schlag-
uhren, und besonders that sich als me-
chanisches Talent ein junger Mann her-
vor, Namens Richard, dem die Nach-
ahmung am besten gelang. Im Jahre
1690 kehrte ein Bürger von Locle von
einer weiten Reise heim und brachte eine
Taschenuhr mit, die erste, welche die
armen Bergbewohner zu sehen bekamen.
An das Nachbilden eines solchen Kunst-
62. Das Unglück ti
Wenn du aus der schweizerischen Cen-
tralbahn von Bern nach Basel fährst,
so kommst du, eine Stunde von Olten
entfernt, nahe am Dorfe Hauen st ein
durch einen jener unterirdischen Schie-
nenwege, durch welche der Unterneh-
mungsgeist unseres Jahrhunderts fast
unüberwindlich scheinende Hindernisse des
Bahnverkehrs bewältiget hat. Auf einer
Strecke von mehr als 8000 Fuß wurde
der Hauenstein durchbrochen; und acht
Minuten bedarf selbst das rasche Dampf-
roß, bis es den Zug wieder in's Freie
führt. Das unheimliche, beengende Ge-
werkes wagte sich aber keiner, bis die
Uhr reparirt werden mußte, und Meister
Richard sich erbot, die Reparatur zu
versuchen. Er nahm die Theile sorg-
fältig auseinander, untersuchte den Bau
und nach langem Studium machte er sich
an die Arbeit, die freilich sehr langsam
von statten ging, da er die nöthigen
Werkzeuge sich selber erst erfinden und
anfertigen mußte. Endlich gelang das
Werk und nun wollten's auch andere
versuchen.
Es entstand ein reger Wetteifer, der
jedoch die aufgewandte Mühe und Arbeit
schlecht lohnte, bis man sich aus Genf
das taugliche Metall und die entsprechen-
den Instrumente zu verschaffen wußte.
Die Neuenburger machten bald so gute
Fortschritte, daß ihre Werkzeuge noch
die der Genfer übertrafen. Mehr als
120,000 Stück Uhren im Werth von
12 Mill. Franken werden alljährlich vom
Kanton Neuenburg aus verschickt.
Genf und Neuenburg zusammen ha-
den im Jahre 1856 Uhren im Ge-
wicht von 1913 Zentner versandt; nach
Rußland allein gingen für 1,800,000
Franken fertige Uhren, für 60,000 Fr.
Uhrenbestandtheile und für 30,000 Fr.
Spieluhren.
Die Schweizer Uhren-Jndustrie
steht einzig da. Durch sie ist jene öde
Berggegend kostbar und dicht bevölkert
geworden, und wo früher nur ärmliche
Hütten standen, befinden sich jetzt reiche,
ansehnliche Häuser.
Hauenstein - Tunnel.
fühl, welches uns bei der Fahrt durch
die dunkeln Tunnels beschleicht, wird
hier noch gesteigert, wenn man des schreck-
lichen Unglückes gedenkt, dessen in der
Pfingstwoche 1857 diese düstern Räume
Zeuge waren.
Um der ihrer Vollendung nahen un-
terirdischen Höhlung Luft zuzuführen,
hatte man drei Schachte von oben in
dieselbe abgeteuft, den mittleren derselben
aber wegen des zu heftig zuströmenden
Grubenwassers nicht ganz durchgeschlagen.
Der südliche Schacht hatte einen Durch-
messer von 12 Fuß und eine Tiefe von
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- Hrsg.: ,
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
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- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten, Lehrerbildungsanstalten
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- Schulformen (OPAC): Gewerbeschule, Handelsschule, Landwirtschaftsschule, Präparandenanstalt, Mittelschule
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94. Das alte Germanien und seine Bewohner.
205
doch nicht entbehren konnte, blieb Wei-
bern und Knechten überlassen. Es for-
derte Geduld im Kleinen und eilt ge-
ringeres Maß von Kraft, daher schien
dies des freien Mannes unwürdig. Vor
allem ward der Knabe im Gebrauch der
Lanze früh geübt, denn sie war das
Zeichen der Ehre des Mannes, sie be-
gleitete ihn, wo er ging und stand, in
den Kampf, in die Versammlung der
Volksgemeinde, zum Gastmahl. In dieser
erregten Stimmung, welche im Kriege
allein den Zweck des Lebens fand, ver-
langte er auch von der müßigen Stunde
einen stark aufreizenden Zeitvertreib.
Da beschäftigte ihn die Jagd, er ergötzte
sich am kriegerischen Tanze nackter Jüng-
linge zwischen bloßen Schwertern; oder
in der heißen Gier nicht des Gewinnens,
sondern des verzweifelten Wagens, setzte
er seine und der Seinen Freiheit im
Würfelspiel auf einen einzigen Wurf.
Gastmähler und Zechgelage zogen sich
Nächte und Tage lang hin; sie begannen
in geräuschvoller Fröhlichkeit mit der
Besprechung von Familien- und Volks-
angelegenheiten und endigten oft in
blutigem Hader, wenn man zum Speer
statt zum Trinkhorn griff. Fremden
und Reisenden kam man mit unbegrenz-
ter Gastfreiheit entgegen. Man aß und
trank mit ihnen, so lange der Vorrath
reichte; dann führte man sie in das
Haus des Nachbars und half verzehren,
was dieser vorzusetzen hatte.
Bei aller Einfachheit des Lebens
fehlte es nicht ganz an handwerksmäßi-
ger Arbeit oder selbst Kunstfertigkeit.
Alles Geräth, dessen man im Hause be-
durfte, Pflug und Wagen, verfertigte
der Knecht. Waffen anzufertigen, schämte
sich auch der freie Mann nicht. Man
verfertigte ferner eherne Helme mit Thier-
köpfen und Flügeln, Thierbilder, Schilde
und Opferbecken; auch Ringe für Hals
und Arm, denn diese galten als'ein
beliebter Schmuck, und das künstlich ge-
arbeitete Trinkhorn als ein unentbehr-
liches Hausgeräth.
Die niedern Künste des Hauses,
das Anfertigen der Kleidungsstücke, das
Mahlen und Backen, das Brauen, Spin-
nen und Weben war die Sache des
Knechtes oder der Magd.
Alles, was zu Haus und Hof des
freien Mannes gehörte, Weib, Kinder
und Knechte vertrat dieser nach Außen.
Sie standen in seiner Hand, unter
seinem Schutze, sie nahmen Theil an
seiner Freiheit und wurden durch sie
gedeckt. Für sie war er im Hause auch
Priester; er rief die Götter an, und
verkündete den Seinen ihren Willen
aus den heiligen Loosstäben. Er machte
in der Volksgemeinde den herangewach-
senen Sohn durch die feierliche Ueber-
gabe von Speer und Schild wehrhaft.
Dadurch wurde dieser mündig und dem
Vater an Ehre gleich; und nicht mehr
der Familie allein, auch der Gemeinde
gehörte er jetzt an.
Einzelne Höfe zu bauen war Zwischen
Weser und Rhein uralte Sitte; in
anderen Gegenden nicht minder das
Zusammenleben in Dörfern. Die Ein-
zelhöfe waren verbunden durch das ge-
meinsame Eigenthum an Weide und
Wald in der Mark; bei den Dörfern
kam noch die Feldgemeinschaft hinzu.
So wurden die Anwohner Genossen
einer Mark, sie wurden eine Markge-
meinde.
Mark ist jedes Zeichen, ein Grenz-
zeichen, dann das von solchen Zeichen
eingeschlossene Gebiet, das von den Ge-
schlechtsgenossenursprünglich besetzteland,
und in diesem Sinne entspricht das Wort
Gau, d. h. Land, der Bezeichnung Mark.
In den ältesten Zeiten war die erste
große Mark zugleich der Gau; später
traten beide immer mehr auseinander,
und dieses wird die Bezeichnung der
größeren, jenes der engeren örtlichen
Gemeinschaft. Gleich im Anfange waren
Recht und Eigenthum doppelt getheilt
worden; man unterschied, was dem ein-
zelnen freien Manne, und was der Ge-
sammtheit Aller, der Genossenschaft, an
Gütern der Natur zukommen sollte. Dem
Einzelnen wurde der Raum für Haus,
Hof und Garten durch irgend eine sinn-
bildliche Handlung angewiesen, und etwa
durch Umpflügen mit einem Joche Ochsen
an einem Morgen die Grenzen seines
Ackerlandes festgestellt. Alles zusammen,
was ihm zugetheilt ward, Haus und
Hof, Acker und Nutzung des Marklan-
des, war seine Hufe, das Landgut,